Am 12.09.2020 hospitierte ich elf Stunden bei der 22. Einsatzhundertschaft (EHu) der Direktion Einsatz. Wie so oft in Berlin war das Einsatzaufkommen auch an diesem Wochenende recht hoch. Sowohl die „Hells Angels“ wie auch die „Bandidos“ hatten für diese Zeit ihre jährlichen Demonstrationen angemeldet. Zum anderen gab es noch eine Demonstration aus dem linken Spektrum, welche auf die Räumung der Liebigstraße 34 aufmerksam machen sollte.

Zu Beginn der Hospitation hatte ich die Möglichkeit, mir die Befehlsstelle der Schicht bei der 2. Bereitschaftspolizeiabteilung anzuschauen. Vieles kam mir durch meine Lehrtätigkeit an der HWR Berlin bekannt vor, denn auch dort führen wir Planübungen mit Studierenden durch, und üben praktisch, wie sich verschiedenste Einsatzlagen in der Stadt bewältigen lassen. Während der Besichtigung gab es die Möglichkeit für Gespräche und Erörterungen zum Einsatzablauf.

Die Kräfte der 22. EHu stießen gegen 18 Uhr in den Einsatzraum, in diesem Fall war dieser das Demonstrationsgebiet, vor, während ich zunächst vor Ort in der Liegenschaft blieb. Gegen 20 Uhr ging es mit dem Führungsfahrzeug der 22. EHu ebenfalls in den besagten Einsatzraum. Eigentlich wäre die 22. EHu auch ungebunden – nämlich als Landeseinsatzreserve – unterwegs gewesen, aber aufgrund der Einsatzlagen und Einsatzanlässe mussten an diesem Tag verschiedene Aufträge übernommen werden.

Ich schaute mir den Antreteplatz der linken Demo an. Ursprünglich waren 250 Teilnehmer/innen angemeldet, tatsächlich waren jedoch weit über 1.000 Personen vor Ort in Kreuzberg und brachten ihre Haltung zu Staat und Polizei zum Ausdruck. Insgesamt ging das Einsatzkonzept der Berliner Polizei gut auf. Es waren genügend Einsatzkräfte vor Ort und es wurde notwendigerweise eng geführt. Im späteren Verlauf wurde die Demonstration dann in der Köpenicker Straße aufgelöst.

Im Anschluss fuhren wir mit Eile zum nächsten Einsatzort. Hier war zunächst nicht klar, ob es sich bei dem Geschehen um eine Hausbesetzung oder eine Kunstaktion handelte. Noch ehe sich diese Frage klären ließ, erreichte die 22. EHu ein Funkspruch wonach ein möglicher Schusswaffengebrauch gemeldet worden war. So ging es für uns ein weiteres Mal mit Eile auf die Straße – dieses Mal nach Lübars. Dort gab ein Zeuge an, Schüsse und Schreie gehört zu haben. Noch auf dem Weg dorthin kam die Rückmeldung, dass die Hundertschaft wieder abdrehen und zurück in den Einsatzraum fahren müsse. Dies mag wenig koordiniert klingen, doch das Gegenteil ist der Fall. Lagen ändern sich zum Teil unglaublich schnell und die Einsatzkräfte müssen in kürzester Zeit – sofern das möglich ist – umgehend dorthin geleitet werden, wo sie benötigt werden.

Am nächsten Einsatzort, dem Kotti, wurde eine gewalttätige Auseinandersetzung mit mehreren Personen gemeldet. Als wir vor Ort eintrafen, waren nur noch wenige der beteiligten Personen vor Ort. Einsatzkräfte der 13. EHu kümmerten sich bereits um mehrere Beteiligte, welche zuvor aneinandergeraten waren. Durch einen Passanten wurden wir auf eine Frau aufmerksam gemacht, welche sich psychisch auffällig verhielt. Es gab darüber hinaus den Hinweis, dass die Dame ein Auto beschädigt haben solle. Zum Glück gab es einen Polizeibeamten vor Ort, welcher mit der Dame auf ihrer Muttersprache sprechen konnte. Im Gespräch verfestigte sich der Eindruck, dass sie eigentlich Hilfe benötigte. Zur Abklärung und auch zum Schutz der Dame wurde ein Rettungswagen gerufen.

Im weiteren Verlauf bestreiften wir den Bereich Friedrichshain, als uns ein Funkspruch mit der Bitte um Unterstützung des örtlichen Polizeiabschnitts erreichte. Eine Person soll in der Nähe der Frankfurter Allee mit einem Döner-Messer auf andere Personen losgegangen sein. Vor Ort war die Lage zunächst undurchsichtig, doch es wurde bald deutlich zwischen wem die eigentliche Auseinandersetzung stattgefunden hatte. Bei der Vernehmung setze dann bei einigen Zeugen eine Art „Demenz“ ein, welche ich bereits bei anderen Vernehmungen (insbesondere im Clan-Milieu) beobachten konnte.

Ich werde dieses Erlebnis nutzen, um noch einmal intensiver parlamentarisch anzufragen. Mir sind mehrere Dinge aufgefallen, die auf mögliche Konflikte zwischen zwei Berliner Gruppierungen hinweisen. Auch einige Lokalitäten werde ich in diesem Zusammenhang genauer betrachten. Auch deshalb sind Hospitationen für mich so wichtig. Durch sie ergibt sich die Möglichkeit, dass bestehende Konfliktlagen auf die politische Ebene und auch in die politische Wahrnehmung dringen können. Die Polizei Berlin muss diese Konfliktlagen analysieren und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Dafür benötigt sie die Rückendeckung der Berliner Politik.

Ich freue mich, dass auch bei dieser Hospitation viele Themen mit den Beamtinnen und Beamten angesprochen und diskutiert werden konnten. Auch eine Studierende aus meinem Seminar war an diesem Abend im Rahmen eines Praktikums im Einsatz. In diesen Hospitationen ist es mir wichtig, zuzuhören, Themen mitzunehmen und auch etwas über die persönliche Motivationslage der Beamtinnen und Beamten zu erfahren. In der Öffentlichkeit werden häufig nur herausstechende, meist dramatische Ereignisse thematisiert. Aber in Berlin findet jeden einzelnen Tag eine Menge mehr statt – und vieles geht auch den Einsatzkräften unter die Haut und wirkt nach. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass zunehmend die geschützten Wochenende bei den Einsatzkräften entfallen. Körper wie auch Kopf brauchen jedoch nach intensiven Einsätzen eine eine Phase der Ruhe und Erholung. Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz dürfen im öffentlichen Dienst kein Lippenbekenntnis sein, denn die Zeche zahlt der Mensch. Gleiches gilt für die Ausstattung. Ich möchte auch keine „selbstgebastelten“ Führungsfahrzeuge mehr erleben, denn das Geld für die Beschaffung neuer Fahrzeuge ist durchaus vorhanden.

Mein Dank gilt den Einsatzkräften, besonders auch dafür, dass ich mir bei dieser Hospitation einmal mehr ein Bild von den Einsatzlagen machen konnte. Das hilft ungemein Zusammenhänge besser zu verstehen und die richtigen Fragen zu stellen. Herzlichen Dank für diese einmaligen Einblicke.

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