Die momentane Situation um die Ausbildung im Mittleren Dienst an der Polizeiakademie in Berlin und die bundesweite Debatte darum sind schwer erträglich. Zwei Gruppen treffen in der Diskussion aufeinander: Jene welche die Vorwürfe massiv ablehnt oder abschwächt und die andere, welche davon ausgeht, dass es in Wahrheit noch viel schlimmer ist und bisher unterdrückt wird. Das Kernproblem ist, dass sich viele vorstellen können, dass die Vorwürfe stimmen und wir erstmals einen tiefen Einblick in die Psyche der Berliner Polizei und ihrer Führungsebene erhalten. Damit ist nicht nur das „Dreigestirn“ (Kandt, Koppers, Steiof) gemeint, sondern auch die Führungsebenen des höheren und gehobenen Dienstes.

Nur wenige hätten sich vorstellen können, dass ausgerechnet eine WhatsApp-Nachricht die Debatte lostreten und damit alte Wunden aufbrechen würde. In der Polizei muss es wie ein Dammbruch erscheinen, dass jene Missstände ans Licht kommen, auf die Polizeibeamte bereits über Jahre hinweg hingewiesen haben und die nun keinen anderen Ausweg mehr sahen, als diese öffentlich zu machen.

Natürlich: Rund um die jetzige Debatte wird immer wieder auch um das Durchsetzen von Individualinteressen für und gegen die Vertreter der Polizeiführung gehen. Darum muss die Debatte kanalisiert werden.

Dass die politische und polizeiliche Führung in einer Sondersitzung des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses Anfang November den Eindruck erweckt, dass hier alte oder ehemalige Polizeibeamte lediglich ein Problem mit Reformen hätten und sich deshalb sträuben zeugt nicht unbedingt von Sachkenntnis. Es lässt es tief blicken, wenn die Polizeiführung nicht weiß, welche Stimmung an ihrer Basis herrscht und wenn Meinungen und Kritik nicht durchdringen, abgeblockt und möglicherweise unterdrückt werden.

Es ist ein gravierendes Problem, dass seit Monaten Gerüchte um interne Auseinandersetzungen an der Polizeiakademie die Runde machen. Wenige werden öffentlich, noch weniger werden widerlegt. Der bittere Nachgeschmack bleibt: Da stimmt doch etwas nicht.

Wer diesen Ansatz negiert, möchte sich nicht mit der Realität auseinandersetzen. Ich gehe nicht davon aus, dass es eine strukturelle Unterwanderung durch kriminelle Clans bei der Berliner Polizei gibt. Es mag sicherlich Einzelfälle geben und gegebenenfalls sogar Informanten, die Interna weitergeben. Eben deshalb bedarf es verschiedener Mechanismen, dies entweder frühzeitig zu erkennen oder aber Maßnahmen einzuleiten um dies zu verhindern. Eines muss klar sein: Solche Personen sind in der Polizei nicht zu dulden.

Die größte Scheinheiligkeit liegt jedoch darin, nun den Eindruck erwecken zu wollen, dass jetzt schonungslos aufgeräumt wird. Hinweise auf Misstände sind seit mindestens 2014 bekannt. Überraschend sind sie deshalb nicht. Mehr noch: Am 30.11.2016 verfasste ich einen Brief an den damaligen Innensenator Frank Henkel und den Polizeipräsidenten Klaus Kandt mit der dringenden Bitte, die Reform der Polizeiakademie zu stoppen. Für beide gemeinsam antwortete Innenstaatssekretär Bernd Krömer, dass man an der Reform festhalten werde.

Eigentliche Impulsgeberin ist Polizeivizepräsidentin Koppers, welche hinter dieser Reform steht. Hinter ihr stehen auch Direktionsleiter und Teile des höheren und gehobenen Dienstes der Berliner Polizei. Margarete Koppers möchte jedoch auch Generalstaatsanwältin in Berlin werden und deswegen erfolgen nun auch gezielt Anwürfe gegen ihre Person. Mit der Polizeiakademie haben diese jedoch nichts zu tun

Die Polizeistrukturreform in Berlin (PG ESS) läuft seit 2014. Das Berliner Abgeordnetenhaus sowie der damalige und jetzige Innenausschuss haben sich gar nicht oder nur selten mit dem Thema befasst. Das Thema ist schlicht nicht „sexy“ genug und man müsste sich tief in die Materie einarbeiten. Aus meiner Sicht tragen deshalb zahlreiche Ebenen die Schuld für eine misslungene Reform, welche keine Kritik erträgt und deren Folgen wir nun erleben werden. Die Polizeiabschnitte und die Hundertschaften werden darunter zu leiden haben, weil sich die Reform letztlich zu Lasten der Kriminalitätsbekämpfung auswirken wird. Die Berliner Polizeibehörde ist kein Unternehmen in dem Abteilungen nach Gutdünken zusammengelegt und dividiert werden können, in der Hoffnung bessere Ergebnisse zu erzielen.

Seit mindestens 2013 begleite ich das Themenfeld Landespolizeischule, welche nach der Reform nun Polizeiakademie heißt, mit parlamentarischen Anfragen. Bereits 2014 deutete es sich an, dass Einstellungsvoraussetzungen angepasst wurden um mehr als bisher an den Bewerben auszurichten und nicht umgekehrt.

Der Innenausschuss hatte vor der diesjährigen Sommerpause die Chance, diese Reform sich genau unter die Luppe zu nehmen. Doch: Der Polizeipräsident konnte nicht liefern und musste die Antworten auf insgesamt 13 Fragen nachreichen – nach der Sommerpause. Und selbst diese geben Anlass sie sehr kritisch zu hinterfragen.

Am 01.12.2016 trat die Reform in Kraft und sollte sich ab März 2017 an der Polizeiakademie entfalten. Letztlich startete sie im September ohne ihrem Anspruch auch nur annähernd gerecht zu werden. Alles besser, alles größer: 1.200 statt bisher 500 Auszubildende – knapp eine Verdreifachung. Mehr Personal gab es hierfür an der Akademie deshalb nicht.

Es ist richtig: Nachdem die Vorwürfe über schlechtes Benehmen von Polizeischülern öffentlich wurden, dürfen wir nun nicht den Fehler machen, alle Auszubildenden der Akademie über einen Kamm zu scheren. Azubis reifen in ihrer Ausbildung und lernen aus ihren Fehlern. Was wird dringend benötigen ist vielmehr eine offene und kritische Diskussionskultur. Diese muss auch von der Polizeiakademie geschaffen und von den Vorgesetzten und Führungspersonen gelebt werden. Die Probleme beim Deutschunterricht, dem Verhaltenstraining und der Defizite in der politischen Bildung zeichneten sich frühzeitig ab. Auf sie muss nun endlich reagiert und Lösungen gefunden werden.

Wir brauchen die Menschen in Uniform in dieser Stadt. Die Unterdrückung von Debatte und Kritik ist keine Lösung. Wenn Führungskräfte nicht führen und entscheiden, dann geschieht das, was wir heute betrachten können. Nun muss es darum gehen, die zahlreichen positiven Vorschläge aufzunehmen und diese in die verkorkste Reform einzubinden. Es müssen funktionierende interne Kommunikationswege geschaffen werden. Nur so kann garantiert werden, dass Whistleblowing nicht der letzte Ausweg ist.

Titelbild: PolizeiBerlin (Berlin Polizeipräsidium, CC BY-SA 4.0)